Freitag, 13. Juni 2008

Die Reiche Debians (von Björn Jilg)

Die Reiche Debians von Björn Jilg

Dieser Artikel von Björn Jilg steht unter einer GNU-Lizenz für freie Dokumentation (FDL).

Neugierig beobachteten die Dorfbewohner den Neuankömmling. Wie immer wurde sehr schnell spekuliert, wo er denn herkäme. War er ein Wanderer zwischen den Welten? Kam er aus einem anderen Teil der Linuxwelt? Musste oder wollte er seine Heimat verlassen? Manche munkelten sogar, dass er direkt aus der Leere zwischen den OS-Welten kam und Debian die erste Nation war, die er je betrat. Auch wenn dies eher unwahrscheinlich war, kam so etwas durchaus vor und solche Fälle wurden in letzter Zeit auch häufiger. Vielleicht wohnte er auch schon in einem Reich von Debian. Nur eines stand fest: Er wollte eine neue Heimat finden und hierzu das große Orakel des Incoming befragen. Schon öffneten sich die Tore des Tempels mit der Aufschrift „Time is a neverending upstream“ und ein wenig zögerlich schritt der Fremde hindurch. Direkt hinter ihm schlossen sie sich wieder und die Bewohner wurden mit ihren Spekulationen zurückgelassen.
Das Innere des Tempels bestand aus einer einzigen großen Halle, an deren Ende die Hohepriesterin in meditativer Haltung saß. Auf ihrer Stirn trug sie die Tätowierung eines magentafarbenen Wirbels und neben ihr ruhten die beiden heiligen Tiere des Tempels: Gnu und Pinguin. „Komm näher“ sprach die Priesterin mit freundlicher Stimme, und der Fremde wunderte sich, hatte er doch einen „geheimnisvolleren“ Tonfall erwartet – doch die weise Frau sprach ihn mit völligungezwungener, freundlicher Stimme an. „Du möchtest also von mir einen Rat, wo in unserer schönen Nation du dich niederlassen solltest?“„Ja, großes Orakel. Debian gefällt mir sehr, die Offenheit und Freiheit dieses Volkes hat mich beeindruckt. Darüber hinaus, die vielenWunder, die ich hier schon anschauen konnte. Doch bin ich mir unsicher, wo in dieser großen Nation ich eine Heimat finden sollte. Debian ist groß, die Anzahl seiner Reiche ist unüberschaubar und jedes ist anders. Bitte sagt mir, welches Reich das beste ist. Wo kann ich mich getrost niederlassen?“
Die greise Frau lachte schallend, sodass die Mauern der Halle leicht bebten. Ängstlich wich der Fremde einen Schritt zurück. „Debian hat unzählbar viele Reiche, wie du schon sagtest“, erwiderte die Priesterin. „Glaubst du, es würde so viele geben, wenn das eine Reich existieren würde, das am besten für jeden Einzelnen ist?“
„Nun gut“, die Stimme des Fremden wurde etwas leiser, „dann sagt mir bitte, welches das beste Reich für mich persönlich ist.“ „Diese Frage kannst du selbst am besten beantworten.“„Aber ihr seid das Orakel! Wisst ihr denn nicht, in welchem Reich meine Bestimmung liegt?“Wieder lachte die Priesterin, diesmal aber wesentlich leiser und mit einem freundlichen, wissenden Unterton. „Ich bin das Orakel vonDebian. Ich sehe Dinge, lange bevor sie je ein anderer in Debian zu Gesicht bekommt. Das Schicksal der einzelnen Menschen jedoch kann nur der Einzelne selbst bestimmen. Wohl aber kann ich dir dabei helfen, deine neue Heimat zu finden. Ich werde dir nun ein wenig über einige Reiche erzählen, über ihren Aufbau und ihre Eigenheiten. Natürlich kann ich dir nicht sämtliche Reiche aufzählen, sonst könntest du dir gleich den Tempel als neue Heimat wählen. Am Ende musst dann du selbst entscheiden, wo auf Debian du in Zukunft weilen möchtest. Diese Entscheidung kann und will ich dir nicht abnehmen. Tief im Süden liegt das Reich Stabilitia, ein sehr starkes und stabiles Reich. Stabilitia ist eine gigantische Festung, die seit Generationen nahezu uneinnehmbar für Angreifer ist und auch den Naturgewalten zu trotzen vermag. Allerdings hat diese Sicherheit ihren Preis: Nur sehr langsam verbreiten sich Neuerungen in diesem Reich. Am Anfang jeder Dynastie wird Stabilitia von Grund auf erneuert, doch schon zu diesem Zeitpunkt sind die Neuerungen veraltet. Das liegt daran, dass die Bewohner von Stabilitia alle Baumaterialien und Handelswaren solange prüfen, bis sie sie als perfekt und sicher befinden. Vor der Küste Stabilitias liegen die Inseln der Testing-Bucht. Es mag sehr verlockend sein, sich dort niederzulassen. Im Gegensatz zu Stabilitia wird hier reger Handel getrieben, man erfährt mehr Neuigkeiten und genießt dennoch eine gewisse Stabilität. Auch hier muss jegliche eingeführte Ware überprüft werden, wenn auch lange nicht so ausgiebig wie auf Stabilitia. Doch Vorsicht, nicht immer ist ein Kompromiss die richtige Lösung. Wer sich in Testing niederlässt, darf sich nicht in trügerischer Sicherheit wiegen, nur weil er festes Land unter den Füßen hat. Schon oft wurden all zu leichtsinnige Bewohner einfach von ihrer Insel gespült. Dann gibt es noch den großen, mächtigen Ozean von Sid mit seinen Tausenden von Wundern, und selbst wenn es viele nicht glauben wollen: Auch dort wohnen Menschen. Damit wären die drei wichtigsten Reiche von Debian genannt.“„Mit Verlaub“, fiel der Fremde ein, „was ist mit dem Reich Ubuntu? Ich habe gehört, dass es ebenfalls groß und mächtig ist und beständig weiterwächst“„Ubuntu? Aber du hast mich doch nur nach den Reichen von Debian gefragt?“Verblüffung zeichnete sich auf dem Gesicht des Fremden ab. „A. . . aber Ubuntu liegt doch in Debian . . . oder?“„Geographisch gesehen hast du Recht. Aber Ubuntu ist eine eigenständige Nation, auch wenn sie ohne Debian nicht bestehen könnte. Es ist eine künstliche Insel, die sich durch eine große braune Glasglocke komplett von der Außenwelt abgeschirmt hat. Nur zweimal im Jahr schwärmen Boote aus und holen sich Waren aus den verschieden Teilen Debians. Sie haben eine etwas andere Sprache und andere Gewohnheiten, die sich von allen anderen Teilen Debians unterscheiden. Daher ist es oft schwierig, ubuntueigene Ware zu beziehen und ohne Weiteres zu benutzen. Die Bewohner der Insel Ubuntu leben in einer Welt, die durch die Glasglocke sicher und stabil zu sein scheint. Doch vergiss nicht: Glas kann zerbrechen. Du hast also die Wahl: Wenn dir ein stabiles Reich am wichtigsten ist, und es dich nicht kümmert, hinter den restlichen Reichen hinterher zu hinken, dann wähle Stabilitia als neue Heimat. Willst du mehr regen Handel treiben und dir nicht nur langerprobtes, solides, sondern auch neues, dynamisches Wissen aneignen, ohne aber festen Boden zu verlassen, so lasse dich auf den Inseln der Testing-Bucht nieder. Willst du die Illusion haben, dich auf dem Festland zu befinden, aber dennoch neuere Dinge benutzen als in Stabilitia, manchmal gar Moderneres als in der Testing-Bucht, und spielt es keine Rolle für dich, dafür die Grenzen Debians zu verlassen, so kannst du auch die Insel Ubuntu wählen. Wenn du allerdings die neuesten Dinge lernen willst und durch dieses Wissen jederzeit wehrhaft sein möchtest, wenn weniger Stabilität im Sinne von Starre, dafür Dynamik und dennoch, oder gerade deshalb, höchste Sicherheit dein Leben bestimmen sollen, dann entscheide dich für ein Leben auf den Wassern von Sid. Natürlich wäre es dann gut, allerdings nicht unbedingt erforderlich, wenn auch etwas Seefahrerblut durch deine Adern fließt.“„Sid?“ erwiderte er erstaunt. „Dieser Ozean ist nicht dauerhaft befahrbar, ohne früher oder später darin umzukommen! Zumindest sagen das die Leute.“„Nun,“ erwiderte die Seherin, „da haben sie nicht ganz unrecht. Kein Mensch der noch bei klarem Verstand oder kein todesmutiger Abenteuerer ist, befährt Sid in einem gewöhnlichen Boot. Mit einem sidux-Schiff ist das aber durchaus möglich.“„sidux? Ich habe schon etwas davon gehört. Allerdings nur Gerüchte. Und damit lässt sich wirklich der Sid-Ozean befahren?“„Oh ja. Sehr gut sogar. Natürlich darfst du nie vergessen, dass du dich auf hoher See befindest. Wer gar zu wagemutig ist und sich trotz aller Vernunft bei starkem Seegang über die Reling beugt, muss damit rechnen, von Bord geschleudert zu werden. Aber wenn du stets auf die erfahrenen Seeleute hörst und dich auf erprobten Routen bewegst, bist du an Bord eines sidux-Schiffes mindestens genauso sicher, wie in jedem anderen Reich von Debian. Und du erfährst die größte Freiheit, die du in diesen Landen überhaupt erfahren kannst. Es steht dir frei, zu tun, was du willst. Du kannst sogar dauerhaft vor Anker gehen und dein Schiff zu einem Hausboot machen. Aber hüte dich: Wenn du längere Zeit nicht mehr in See gestochen bist, solltest du das auch nie mehr tun. Die Zauber, die in die Schiffsplanken gewoben sind, verlieren an Kraft, wenn sie längere Zeit nicht mehr von Sids Energie umspült wurden, und so könnte das Schiff nach monatelangem Stillstand zerbrechen, wenn es wieder in unruhigere Gewässer kommt. Hüte dich auch vor dem Experimental Archipel. Die Wunder, die es dort zu sehen gibt, übertreffen noch die von Sid, doch wäge genau ab, ob der hohe Preis, den du dafür zahlen könntest, dies auch wert ist. Die Inseln des Archipels liegen im ewigen Nebel. Du kannst niemals sagen, ob eine Passage sicher ist, oder ob du im nächsten Moment an einem Riff zerschellen wirst. Daher gilt: Ein sidux-Schiff ist für Sid gemacht. Es schützt nicht nur vor Sids Energie, sondern auch durch diese. Ein Riss, der durch die eine Welle entsteht, kann durch die nächste Welle eschlossen werden. Es strebt immer eine gerade Position an, selbst bei unruhigem Wellengang ist es meist sehr angenehm und ruhig an Bord. Wird es zu unruhig, dann höre auf den Rat der erfahrenden Crew und du kommst sicher hindurch.“Plötzlich öffneten sich die Tore des Tempels wieder wie von Geisterhand. Die Priesterin zeigte auf den Ausgang und sprach: „Ich habe dir nunalles gesagt, was du wissen musst. Wie du dich nun entscheidest, liegt allein bei dir . . . “


Quelle: freiesMagazin Ausgabe 05/2008 GNU FDL
Author: Björn Jilg
Lizenz: GNU-Lizenz für freie Dokumentation (FDL)
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Ein sehr lehrreicher Artikel über LINUX. Gut gefällt mir auch der Hinweis auf die abgeschottete "Nation" Ubuntu.Auch ich bin im Reiche Debian, aber nicht in der Natio n Sidux, sondern in einer anderen Nation, von denen es so viele gibt. Eine nicht vollständige Auflistung findet man hier.

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