Sonntag, 7. Oktober 2012

ENDitorial: Clean IT ist bloß ein Symptom der blindwütigen Politik der privaten Rechtsdurchsetzung im Internet

CleanIT ist deshalb Teil eines viel größeren Problems: Wie auf dem Fließband werden schlecht definierte Projekte angegangen, im Zuge derer die Wirtschaft "irgendetwas" unternehmen soll, um schlecht oder gar nicht definierte Probleme im Internet zu lösen. So zeigt sich auch ein eindrucksvolles Maß an Zersplitterung innerhalb der Europäischen Kommission, die gleichzeitig zwei verschiedene und nicht aufeinander abgestimmte Projekte (CleanIT und die CEO Coalition für ein sichereres Internet für Kinder) finanziert, wobei "freiwillige" Standards für zu Notice&Takedown, Upload-Filter und Alarmknöpfe entwickelt werden, die die Wirtschaft anwenden soll. Dies alles, ohne den spezifischen Problemen, die es zu lösen gilt, (ausreichend) auf den Grund zu gehen.

Schlimmer noch, Clean IT ist aus einem fehlgeschlagenen "freiwilligen" Projekt über "illegale Inhalte im Internet" hervorgegangen, das die Europäische Kommission selbst koordiniert hat. Das Projekt scheiterte, weil die Problemstellung nicht definiert war. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, welche Probleme es zu lösen galt, drehte man sich dabei in einer immer kleiner werdenden Abwärtsspirale bis man im sprichwörtlichen Abfluss verschwand. Bedauerlicherweise wurden daraus keine Lehren gezogen, bevor die Kommission sich zur Finanzierung von Clean IT entschlossen hat, bei dem die immer gleichen Fehler wiederholt werden.

Auch aus noch weit größeren Fehlern hat man nichts gelernt. Im Rahmen des von der Kommission organisierten "Dialogs über Up- und Downloads" kam der Vorschlag, Peer-to-Peer-Netzwerke "auf freiwilliger Basis" großflächig zu filtern. Dieser Idee haben sich die Internetzugangsanbieter widersetzt; der Vorschlag wurde schließlich vom Europäischen Gerichtshof als Verletzung der Grundrechte eingestuft (Rechtssache C70/10 Scarlet/Sabam).

Das fragliche Dokument wurde den Teilnehmern als "need-to-know" Grundlage übermittelt, EDRi stellt es nun der Öffentlichkeit zur Verfügung, damit auch die BürgerInnen erfahren, was es zu wissen gibt:
Wesentliche CleanIT-Empfehlungen beinhalten:
  • Aufhebung aller gesetzlichen Bestimmungen, die der Filterung/Überwachung der Internetanschlüsse von Angestellten in Betrieben entgegenstehen
  • Strafverfolgungsbehörden sollen die Möglichkeit erhalten, Inhalte zu entfernen, "ohne [dass sie sich an] die arbeitsintensiven und bürokratischen Prozeduren wie Notice&Takedown halten" müssen
  • "wissentlich" auf "terroristische Inhalte" zu verlinken soll "ganz genauso" strafbar sein wie "Terrorismus" selbst (wobei sich der Vorschlag nicht auf Inhalte bezieht, die von einem Gericht als illegal eingestuft wurden, sondern ganz allgemein auf unbestimmte "terroristische Inhalte")
  • Schaffung gesetzlicher Grundlagen für einen "Klarnamen"zwang, um eine anonyme Nutzung von Onlinediensten zu unterbinden
  • ISPs sollen haftbar gemacht werden, wenn sie keine "vernünftigen" Anstrengungen machen, technische Überwachungsmaßnahmen zur Identifizierung einer (unbestimmten) "terroristischen" Nutzung des Internets zu setzen
  • Anbieter von Filtersystemen für Endnutzer und deren Kunden sollen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie "illegalen" Aktivitäten nicht melden, die sie über die eingesetzten Filter identifiziert haben
  • auch Kunden sollen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie "wissentlich" Inhalte melden, die nicht legal sind
  • Regierungen sollten die Hilfsbereitschaft von ISPs als Kriterium für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen heranziehen
  • Soziale Netzwerke und Plattformen sollen Sperr- und "Warn"systeme einführen – irgendwie soll es nicht erlaubt sein, (unbestimmte) "Internetdienste" für "terroristische Personen" anzubieten und wissentlich Zugang zu illegealen Inhalten zu gewähren, während die Endnutzer gleichzeitig "gewarnt" werden sollen, wenn sie auf illegale Inhalte zugreifen.
  • Die Anonymität von Personen, die (möglicherweise) illegale Inhalte melden, soll gewahrt bleiben … allerdings muss ihre IP Adresse gespeichert werden, damit Untersuchungen aufgenommen werden können, wenn die Person verdächtigt wird, absichtlich legale Inhalte zu melden und damit den Meldungen zuverlässiger Informationen schneller nachgegangen werden kann.
  • Unternehmen sollen Uploadfilter installieren, um hochgeladene Inhalte zu kontrollieren und sicherzustellen, dass gelöschte Inhalte – oder ähnliche Inhalte – nicht wieder hochgeladen werden
  • Zudem sollen Inhalte nicht in allen Fällen gelöscht, sondern "gesperrt" (i.e. durch den Hostingprovider unzugänglich gemacht – und nicht im Sinne des Zugangsprovider "gesperrt") werden. In anderen Fällen sollen wiederum online belassen und nur der Domainname gelöscht werden.
EDRi-Artikel im englischen Original:
Clean IT – Leak shows plans for large-scale, undemocratic surveillance of all communications (21.9.2012)
Duchgesickertes Dokument:
Clean IT Project – Detailed Recommendations (Version vom 28.8.2012, pdf, 23 Seiten, Englisch)



Am 27.09.2012 lief die 183. Folge von Chaosradio auf Fritz. Das Thema war CleanIT.  Eine MP3 der zweistündigen Sendung ist jetzt bereinigt von der Musik online verfügbar.


Quellen:
https://www.unwatched.org/EDRigram_10.18_ENDitorial_CleanIT_ist_bloss_ein_Symptom_fuer_die_irrefuehrende_Politik_der_privaten_Rechtsdurchsetzung?pk_campaign=edri&pk_kwd=20120927
https://www.unwatched.org/20120921_CleanIT_Plaene_zur_Ueberwachung_des_Internets_im_grossen_Stil
https://netzpolitik.org/2012/chaosradio-183-cleanit/trackback/

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