Freitag, 16. Januar 2015

Lebenslange Krankenversichertennummer und lebenslange Steuer-ID – ein Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung

Bundesgesundheitsminister Gröhe plant, die – nach seiner Zählung – mehr als 200 vd. informationstechnischen Systeme im Gesundheitswesen zu vereinheitlichen und ihre Datenbestände für die Institutionen im Gesundheitswesen nutzbar zu machen. So begründete er bereits im August 2014 seine Pläne für ein E-Health-Gesetz (siehe http://www.bmg.bund.de/ministerium/presse/interviews/gelber-dienst-110814.html). Die lebenslange Krankenversichertennummer stellt ein Suchkriterium dar, mit der die bislang verstreuten Informationen personenbezogen zugeordnet werden könnten. Der gläserne Patient wäre endgültig Wirklichkeit geworden.

Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren…“. Diesen Satz hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 16.07.1969 (Aktenzeichen 1 BvL 19/63 – http://www.rechtsanwaltmoebius.de/urteil/bverfg_urteil_1-bvl-19-63-mikrozensus.html) den politisch Handelnden in Exekutive und Legislative ins Stammbuch geschrieben.

Im Zeitalter elektronischer Datenverarbeitung scheint das bei den politisch Verantwortlichen in Vergessenheit geraten zu sein. Wie anders ist es erklärbar, dass jeder Mensch von Geburt an mit der lebenslangen Steuer-ID (Rechtsgrundlage: § 139 Abgabenordnung – http://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__139b.html), der lebenslangen Krankenversichertennummer (Rechtsgrundlage: § 290 SGB V – http://dejure.org/gesetze/SGB_V/290.html) und spätestens mit Eintritt ins Berufsleben der lebenslangen Sozialversicherungsnummer (Rechtsgrundlage: §§ 18f – 18h SGB IV – http://dejure.org/gesetze/SGB_IV/18f.html) zum gläsernen Staatsbürger gemacht wird. Denn mit Hilfe dieser drei Identifikationsmerkmale lassen sich nahezu alle Aktivitäten eines Menschen außerhalb seines allerprivatesten und intimsten Lebensbereiche ihm zuordnen und auswerten.

Um noch einmal das Bundesverfassungsgericht zu Wort kommen zu lassen. Es hat in seiner
 Entscheidung vom 16.07.1969 auch festgestellt: „In der Wertordnung des Grundgesetzes ist die Menschenwürde der oberste Wert… Damit gewährt das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist… Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen… Ein solches Eindringen in den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnisse seiner Bürger ist dem Staat auch deshalb versagt, weil dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum‘ verbleiben muß, in dem er ‚sich selbst besitzt‘ und ‚in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt‘…In diesen Bereich kann der Staat unter Umständen bereits durch eine – wenn auch bewertungsneutrale – Einsichtnahme eingreifen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme zu hemmen vermag…“

  • Wenn diese Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts künftig nicht einmal bei den sensibelsten Daten der Menschen – ihren Gesundheits- bzw. Krankheitsdaten – Berücksichtigung finden,
  • wenn die Pläne von Minister Gröhe mit seinem E-Health-Gesetz Wirklichkeit werden,
  • wenn die Gesundheits- bzw. Krankheitsdaten der gesetzlich Versicherten Menschen in den Telematik-Strukturen gesammelt werden und zur Auswertung bereit stehen,
dann wird George Orwells 1984 – seiner Phantasie von der Überwachung im fiktiven Staat Ozeanien – von der Realität in der Berliner Republik des Jahres 2015 übertroffen. --- Dieser Artikel wurde von „dieDatenschützer Rhein Main“ unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/) veröffentlicht (http://ddrm.de/?p=3528).

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