Freitag, 2. Januar 2009

Privatsphaere - Eine Kurzgeschichte von Twister

Gedanken zum Datenschutz

Gestern

Nie hatte ich mir etwas zu Schulden kommen lassen, nie war ich jemand, der Gesetze in Frage stellte, der sich auflehnte, der etwas zu verbergen hatte.

Ich war einer der Ersten gewesen, die sich für Überwachung einsetzten, ich hatte keinerlei Probleme damit, dass meine Telefongespräche nicht mehr privat waren. Selbst wenn ein Brief bereits geöffnet ankam, war das für mich nichts Schlimmes. Ich lebte glücklich vor mich hin, abends nach der Arbeit sah ich mir einen netten Film an oder sprach mit den paar Freunden, die ich hatte. Natürlich hatte ich ein paar Freunde verloren, als sie begannen, kritisch zu reden. Aber alles in allem war ich zufrieden und glücklich.

Von mir aus konnte jeder meine Fingerabdrücke haben, jeder konnte Einblick in mein Leben haben - warum denn auch nicht? All diese Bedenken über Datenschutz und dergleichen konnte ich noch nie nachvollziehen.

Ich fand es nett, dass ich jeden Tag Werbung bekam, so blieb ich informiert. Ich hatte auch nichts gegen diese Spam-Mails, ich löschte sie, und das war es. Ich hatte doch einen günstigen Tarif, da konnte es mir egal sein, wie lange es dauerte, alle Mails zu lesen, zu löschen etc.

Datenschutz? Das war doch etwas für Paranoiker, für Verschwörungstheoretiker. Ich jedenfalls kam auch ohne Datenschutz wunderbar zurecht. Warum sollte ich irgendwelche Daten schützen? Ich tue doch nichts Böses.

Heute

Heute habe ich mir ein Buch über Datenschutz gekauft und meine E-Mail-Adressen geändert.
Auch meine Kreditkarte habe ich schnellstens geändert, und ich denke, ich werde demnächst umziehen.
Es war schlimm genug, dass mein Konto leer war, weil jemand an meine Kreditkartennummer herangekommen war - es dauerte ein wenig, bis alles geklärt war, aber letztendlich kommt das Geld ja wieder.

Schlimmer war, dass ich mir scheinbar einen Virus aus dem Netz holte und mein Betriebssystem daraufhin völlig neu konfiguriert werden musste --- alle wichtigen Daten waren fort.

Jemand schien auch mein Passwort für den Internet-Zugang, das ich auf meinem Computer gespeichert hatte, herausbekommen zu haben, so dass trotz günstigen Tarifs meine Online-Rechnung in schwindelerregende Höhen geklettert war.

Ich legte zwar Einspruch ein, aber letztendlich wurde mir eine Mitschuld zur Last gelegt. Für mich völlig unverständlich.

Dann bekam ich mehr und mehr Werbung von Sex-Firmen, und leider war der Postbote so nett, die Post meinen Nachbarn zu geben, als der Briefkasten voll war. Ich erntete schräge Blicke und süffisantes Grinsen.

Schließlich und endlich stand die Polizei vor meiner Tür und bat mich um ein Gespräch. Ein Sexualverbrechen in meiner Stadt hatte sie auf mich gebracht, erfüllte ich doch alle Voraussetzungen, um verdächtig zu sein:

• meine Fingerabdrücke waren auf der Jacke, die man am Tatort fand (es dauerte lange, bis ich es schaffte,
 den Polizisten begreiflich zu machen, dass man sie mir kurz vorher in einer Kneipe gestohlen hatte)

• ich war auf Grund der Werbung (man hatte diskret Auskünfte eingezogen) als "sexuell ungewöhnlich
  orientiert" eingestuft worden (das lag an den SM-Magazinen, die ich unverlangt geschickt bekam)

• meine Fingerabdrücke fanden sich am Tatort (ich hatte oft auf der Bank in dem Stadtpark gesessen, die
  Hände neben mir auf die Bank gestützt)

• ich hatte längere Zeit keine Freundin gehabt, und wenn, so war diese sehr jung (das brachten die Kameras
  zutage, die natürlich ausgewertet wurden)

• ich hatte mich schon auf Pädophilen-Seiten aufgehalten (ich stieß im Zuge eines Artikels auf solche Seiten
  und wollte mich lediglich informieren, ob dort wirklich Strafrechtliches stand)

Mittlerweile bin ich natürlich entlastet --- die Indizien reichten nicht aus.

Dennoch geht man mir aus dem Weg, man meidet mich. Meine Nachbarn verschwinden, sobald sie mich sehen, meine Lieblingskneipe hat mir Hausverbot erteilt (ohne Begründung), und der Kindergarten, in dem ich arbeitete, hat mir gekündigt.

Ich verstehe noch immer nicht, wie man einem unschuldigen Menschen so etwas antun kann, aber ich habe eines gelernt: Niemand kann so unschuldig sein, dass ihm nicht das Gleiche passieren kann...

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Diese Kurzgeschichte wurde von Twister unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland Lizenz veröffentlicht.

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