Freitag, 1. Mai 2009

Webseiten gesperrt

Schon ein paar Jahre alt, aber jetzt ganz aktuell.

Eine Kurzgeschichte von Twister, die unter der Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland Lizenz veröffentlicht ist.



Webseiten gesperrt

Adventszeit, schon wieder. Ich sah seufzend zu, wie auf meinem Bildschirm, nur weil sich diese vorweihnachtliche Zeit mal wieder in den Vordergrund schob, kleine weiße Schneeflocken das klare Bild vernebelten. Ich war nun kein Advents-Hasser, aber dass es immer schwieriger wurde in dieser Ankunfts-Zeit vor lauter fliegenden Rentieren, lächelnden Weihnachtsmännern und Schneeflocken, einen Blick auf eine simple Seite zu erhaschen, erfreute meine Herz nicht gerade. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich lange nichts mehr von Sabrina gehört hatte, aber das würde ich in der mir eigenen Männlichkeit natürlich nie zugeben.

Als das Telefon klingelte, gab ich auch wie immer das Bild eines Mannes ab, der natürlich völlig gelassen an den Apparat ging, der nicht sehnsüchtig hoffte, statt der Raspelstimme eines Kunden oder der leicht quengelige Stimme meiner Mutter Sabrinas entzückendes Hauchen zu hören.

Mein Mitarbeiter sah mich mit jenem Blick an, den ich insgeheim den "mach mir nichts vor"-Blick nannte. Ich ignorierte ihn, doch spätestens, als weder ein "Junge, ich hab gar keine Keks-Backformen mehr" noch ein "ich brauch Ihr Programm bis morgen" sondern vielmehr ein (wie oben erwähnt - gehauchtes) "Darling" erklang, outete ich mich endgültig als verliebter Idiot, indem ich prompt meine Krawatte lockerte, schnell und hastig meine Stirn abtupfte, auf der plötzlich Schweiß stand und dann betont sanft sagte: "Sabrina, wie nett."

"Oh, Darling" Sabrinas Stimme klang aufgeregt. Nun, das war nicht neu. Und es war natürlich auch nichts Neues, dass ich nach den weiteren Sätzen "ich brauche ganz furchtbar dringend Deine Hilfe, Darling" und "was soll ich denn nur tun" die Blicke meines Mitarbeiters geflissentlich weiter ignorierte, mir sein weitaus besser sitzendes Sakko gegen das Versprechen einer Gehaltserhöhung ausborgte und mich auf den Weg machte, nicht ohne vorher noch kurz von jenem Mitarbeiter aufgehalten zu werden, da er mir noch hastig mein Handy und mein Geld sowie die Autoschlüssel in die Taschen steckte und sein Handy aus der Innentasche zog.

Sabrina zog die Tür auf und ließ mich eintreten. "Darling", sie breitete hilflos die Arme aus. "Es ist ja soooo entsetzlich peinlich." Sie sah mich aus verschleierten Augen an. "Und ich bin Dir so furchtbar, furchtbar dankbar, dass Du kommen konntest, Darling." Sie erwähnte mit keiner Silbe, dass ich sie lange weder gehört noch gesehen hatte, aber wenn die Gerüchte stimmten und sie sich wirklich fast mit einem Freiherr verheiratet hätte, der sich kurz vor der Trauung als jemand entpuppte, der im Tarnanzug durch die Wälder schlich und mit Vorliebe von Paragraphen sprach und - so hatte es Phöbe, Sabrinas Schwester, erläutert - dessen Sätze immer klangen, als würde er sie per cut&paste aus seinem Gehirn einsetzen, so war dies wohl nur zu begründet.

"Darling, heute war Phöbe hier." Sabrina, adventlich in ein tannengrünes Samtkleid gehüllt, das ihre mehr als entzückenden Formen wunderbar zur Geltung brachte, sah mich hilflos an, bevor sie schnell zwei Gläser mit Sherry füllte. Es freute mich, dass sie sich an diese Zeremonie erinnerte.

"Weißt Du, Phöbe ist ja ganz, ganz furchtbar empfindlich geworden, seit sie diesen Datenschützer zum Freund hat."

Ich erinnerte mich mit Schaudern --- nicht nur, dass er stets gelbe Schuhe, ein weißes Hemd zur schwarzen Hose und eine schwarze Frackjacke trug, er redete auch kryptisch. Ein "uninteressant" hieß "dev/null", ein wichtiger Mensch "root" etc.

"Und da wollte ich sie doch ein ganz klein wenig ärgern." Sabrina errötete leicht und senkte den Blick, eine Geste, die wohl selbst einen Scharfrichter par excellence in ein Stück Butter verwandelt hätte. "Und... nun ja, ich wollte, dass sie sich diese ganz, ganz furchtbare Seite ansieht..."

Ich ahnte Böses. Dennoch wollte ich sichergehen. "Furchtbare Seite, Sabrina?"

"Nun, Du weißt schon, Darling." Sie sah mich schelmisch an. "Diese Seite mit den furchtbaren Bildern von diesen ganzen nicht mehr lebendigen oder nicht mehr gesunden Menschen. Und ich konnte sie nicht erreichen."

Aha - ich hatte also Recht gehabt. Sabrina, natürlich genauso bewandert, wenn es um furchtbare Seiten ging, als wenn es um Seiten über sexy Unterwäsche, Fleckentferner für Wollkleider oder um Tipps zur Reinigung der Perlenkette ging, hatte, wie es schien, Phöbe ein klein wenig ärgern wollen und sie zu jener Seite gelotst, die zusammen mit drei "Nazi"-Seiten der Sperrung des Herrn Büssow zum Opfer gefallen waren. Oder halt, natürlich nicht des Herrn Büssow persönlich, Sabrina schien also bei jenem Provider zu sein, der sich Herrn Büssows Diktat gebeugt hatte.

"Sabrina, bei welchem Provider bist Du?"

Sie sah mich ein wenig verwirrt an. "Oh, Du meinst, wer mir diese ganz wunderbare Möglichkeit gibt, in dieses entzückende Netz zu gehen? Oh, Darling - ich weiß es nicht, er klingt irgendwie ägyptisch."

Na gut, das wäre also geklärt, dachte ich.

Jetzt musste ich dies also nur noch Sabrina erklären.

"Sabrina - "begann ich langsam und setzte mich, bevor ich ihr in aller Ruhe - und natürlich während einigen Sherries und ein paar Reiskräckern - erläuterte, was es damit auf sich hatte, dass sie jene Seite nicht erreichen konnte.

"Oh." Sabrina zog einen Schmollmund, und ihre sternförmigen Strassohrringe glitzerten im Kerzenlicht. "Oh, Darling, da bin ich aber froh, dass es nicht an mir lag. Ganz furchtbar froh."

Sie schenkte Sherry nach. "Und eigentlich ist es doch eine ganz wundervolle Idee, uns vor solchen furchtbaren Seiten zu schützen," sagte sie und nahm sich einen Kräcker.

"Sabrina, das ist Zensur," widersprach ich, obwohl ich versucht war, einfach still zu sein und Sabrina anzusehen.

"Zensur? Ach, Darling, nein, auf keinen Fall. Es ist doch nur zu unserem Besten, wenn fremde Seiten, die gefährlich sind, hier nicht mehr angesehen werden dürfen. Dieses wundervolle Mensch meint es sicherlich nur gut."

Ich seufzte und überlegte, ob ich lieber meine Ideale verteidigen sollte oder aber Sabrina recht geben sollte und damit meine Chancen bei ihr erhöhen wollte. Ich entschied mich schweren Herzens für meine Ideale --- nun, kein Wunder, dass meine DSL-Leitung abends heißlief, mit Idealen konnte man heutzutage wenige Leute fesseln.

"Sabrina --- wenn nun jemand Deine Lieblingsseite für gefährlich halten sollte."

"Meine Lieblingsseite? Aber Darling, sie ist doch ganz harmlos. Was ist an diesen entzückenden kleinen Hemdchen und Kleidchen schon gefährlich?"

Nun, wenn ich daran dachte, wie Sabrina wohl in diesen entzückenden kleinen Hemdchen aussah, so hielt ich die Seite durchaus für gefährlich, aber das würde ich natürlich nicht so bemerken.

"Aber Sabrina - nehmen wir mal an, jemand würde sagen: diese Seite ist gefährlich, vor dieser Seite muss ich die Menschen schützen. Und dann könntest Du diese Seite von hier aus nicht mehr erreichen."

Sabrina sah mich einen Moment lang an, ihre wunderschönen Augen hatten sich empört geweitet. "Aber, Darling, das wäre doch Zensur." sagte sie, und ihr Lippen zitterten. Und dann errötete sie erneut...

.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen