Montag, 12. Juli 2010

Darf ich bitten?

Es klang wie eine Einladung zum Tanzen aber Michael wusste nur zu genau, dass das hier kein Höflichkeitsbesuch war. Die "Grauen", wie die Schutzstaffel zur Abwehr schwerster Straftaten im Volksmund genannt wurde, stattete keine Höflichkeitsbesuche ab.

"Ist etwas nicht in Ordnung?" fragte er dennoch ruhig.

"Wir müssen Sie bitten mitzukommen." sagte der Staffelführer, ein Mann in den Vierzigern, der sich als "Schmidt" vorstellte. "A. Schmidt."

Um die Sicherheit der Schutzstaffel zu gewährleisten hatten alle Staffelmitglieder nur Namen wie Schmidt, Fischer oder Hansen, ihre Gesichter wurden durch graue Helme mit verspiegeltem Visir geschützt, so dass niemand die Realnamen oder gar das Aussehen erkennen oder weitergeben konnte.

"Mitkommen? Warum?"

Er wusste es war sinnlos zu diskutieren, aber er wollte wissen, was man ihm zur Last legte, wollte nicht einfach so verschwinden wie seine Freunde es waren.

Einer der Staffelmitglieder brachte die Störsender an damit nicht versehentlich Aufnahmen der Verhaftung, egal ob akkustischer oder optischer Art, in die Außenwelt gerieten.

A. Schmidts verfremdete Stimme antwortete nicht.

Die Tür ging auf und Sara erschien, starrte völlig geschockt auf die Staffel. "Sara, bitte-" Er verstummte. Es war zu spät, denn Sara hatte gesehen, dass die Staffel hier bei ihm war, sie war ein Zeuge und würde nun zum entsprechenden Aussageschutz-Programm gebracht werden. Es galt, den Zeugen klar zu machen, dass nichts über die Staffel nach außen dringen durfte. Sie waren wie Gespenster in der Nacht, tauchten lautlos auf, holten jemand ab und verschwanden wieder. Die meisten Menschen schlossen einfach schnell die Rolladen - und die Augen - wenn die Staffel auftauchte, aber Sara war nicht so wie die meisten Menschen. Und Michael war sich sicher, dass die Staffel dies wusste.

"Wir haben nichts getan." sagte Sara hektisch. "Wir haben nichts getan."

A. Schmidt schwieg. Sara wurde fortgebracht und Michael zog seine Jacke an, sah sich noch einmal in seiner Wohnung um. Er wusste, er würde nicht wiederkehren.

Wegen der Überlastung der Justiz dauerte es fast zehn Jahre bis man Michael mitteilte, dass man in seinen Daten von 2003 E-Mails gefunden hatten, die darauf schließen ließen, dass Michael homosexuell sei. Homosexualität war in Zeiten, in denen es die erste Bürgerpflicht war, für menschliche Friedenserhaltungsresourcen zu sorgen, eine Straftat gegen die menschliche Sicherheit und Ordnung des Landes.

Michael wurde eine Umgewöhnungstherapie auferlegt. Obwohl er bereits seit Ende 2003 nichts mehr getan hatte, was auf Homosexualität schließen ließ und er und Sara bereits 20 Kinder zur Verfügung gestellt hatten, war man sicher, dass der "Keim dieser Straftat" weiterhin in ihm lauerte. Michael versuchte alles um den Richtern klarzumachen, dass diese Mails von seinem Freund geschrieben worden waren, dass er sich nie dahingehend geäußert hatte, dass er sich zu Männern hingezogen fühlte. Der Richter schüttelte ob dieser absurden Schutzbehauptung den Kopf - es konnte doch wohl niemand so dumm sein, jemand anderen eine Mail vom eigenen Computer aus absenden zu lassen. Auch wenn Michael nicht diese Mails geschrieben hätte, so wäre dies natürlich Strafverfolgungsvereitelung und Täuschung der Behörden. Michael bekam ob dieser Straftat noch zusätzliche zehn Jahre Haft.

Als er in eine der gläsernen Zellen ging, folgte ihm der Sicherheitsbeamte und nahm eine präventive Rektalkontrolle vor. Michael schloss die Augen - wenigstens dieses Gefühl kannte er schon. Die Präventivrektalkontrolle war schon lange im Gesetz verankert worden um beim Kampf gegen Drogenhandel effektiver sein zu können.

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Diese Kurzgeschichte wurde von Twister unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland Lizenz veröffentlicht.
 
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